Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., Essen
Der aus dem
Luchterhand Verlag stammende Gemeinschaftskommentar zum
Betriebsverfassungsgesetz, kurz „GK-BetrVG“, ist gewissermaßen der
„wissenschaftliche“ Kommentar zum BetrVG. Hier werden Probleme derart umfassend
und breit dargestellt und behandelt, dass der Praktiker fast immer fündig wird,
und sei es nur, dass das für die Problemstellung passende Urteil in Bezug
genommen wurde, das anschließend vom Leser nachgesehen werden kann. Geht der
erste Blick des mit betriebsverfassungsrechtlichen Fragen befassten Praktikers
regelmäßig in den – ebenfalls nicht zu unterschätzenden – von Fitting begründeten Handkommentar, der
zweite sodann in den von Richardi
herausgegebenen, und ist immer noch keine fundierte Antwort gefunden, ist es
regelmäßig Zeit für den großen Auftritt des GK-BetrVG. Schon von ihrem äußeren
Erscheinungsbild her lassen die beiden, verhältnismäßig etwas höher als normal
geratenen und in einem stabilen Schuber gelieferten Bände erahnen, was in ihnen
steckt und auf den insgesamt 4632 Seiten geschrieben steht.
Nach langen fünf
Jahren ist nunmehr die 11. Auflage dieses Werkes erschienen. Das hochkarätig
besetzte Autorenteam ist zwar im Vergleich zur Vorauflage unverändert
geblieben, dennoch wurden einige Wechsel in der Bearbeitung vollzogen. So hat
etwa Gutzeit von Wiese die wichtigen Kommentierungen zu § 87 Abs. 1 Nr. 2 bis 13
BetrVG übernommen und führt diese nunmehr fort. Mit dem Erscheinen zu Beginn
des Jahres 2018 verfolgten die Autoren das Ziel, noch vor den diesjährigen
turnusmäßigen Betriebsratswahlen „sowohl
der Praxis einen verlässlichen Ratgeber zur Verfügung zu stellen als auch die
wissenschaftliche Diskussion anzuregen und fortzuentwickeln“ (S. V). Dass
dieses Ziel vollumfänglich erreicht wurde, steht außer Frage.
Besonders stark
ist der Kommentar dort, wo andere Werke sich (oftmals aus Platzgründen) in
einem kursorischen Überblick über Rechtsprechung und Literatur erschöpfen.
Herausgegriffen werden soll zunächst der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs.
1 Nr. 6 BetrVG. Diese Regelung, die in der betrieblichen Praxis schon aufgrund
der fortschreitenden Digitalisierung zunehmend an Bedeutung gewinnt, gerät auch
im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)
verstärkt ins Blickfeld. So werden die Betriebsparteien etwa mit
Betriebsvereinbarungen zum Einsatz von Software im Betrieb regelmäßig nicht
allein die Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates verfolgen,
sondern gleichsam datenschutzrechtliche Erlaubnistatbestände i.S.d. DSGVO bzw.
der nationalen datenschutzrechtlichen Regelungen treffen wollen. Gleichwohl ist
auf den ersten Blick unklar, was das BetrVG da überhaupt normiert, wenn es die
„Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt
sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“, dem
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates unterwirft. Beginnend mit mehr als sechs
Seiten Literaturnachweisen führen Wiese/Gutzeit
den Leser in mehr als 100 Randnummern in strukturierter Form durch die gesamte
Breite dieses Mitbestimmungstatbestandes. Bereits in den einführenden Worten
zur Gesetzessystematik nehmen die Bearbeiter Bezug auf die vielfach
diskutierten Schlagworte „Industrie 4.0“ bzw. „Arbeit 4.0“, aus denen
allerdings hinsichtlich § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG keine substanziell neuen
Probleme erwachsen würden (§ 87, Rn. 507). Anschließend werden Zweck und
Grenzen der Mitbestimmung geklärt (§ 87, Rn. 509 ff.), um dann die Begriffe der
„technischen Einrichtung“ sowie der „Überwachung von Verhalten oder Leistung“
genauer zu definieren (§ 87, Rn. 522 ff. bzw. Rn. 561 ff.). So setzen sich Wiese/Gutzeit etwa mit der Frage der
Mitbestimmung in solchen Fällen auseinander, in denen der Arbeitgeber einem
Beschäftigten „auf dessen Wunsch die
Benutzung eines privaten Laptops oder Smartphones zur Erledigung dienstlicher
Aufgaben gestattet“ (sog. BYOD, § 87, Rn. 534). Dieser Sachverhalt
unterliege jedenfalls dann grundsätzlich nicht der Mitbestimmung, sofern keine
personenbezogenen Daten von Beschäftigten erfasst würden und die Überwachung
von Beschäftigten ausgeschlossen sei (§ 87, Rn. 534). Wer mit derartigen Fragen
in der betrieblichen Praxis konfrontiert wird, wird sich glücklich schätzen
können, wenn er auch die weiteren vertiefenden Ausführungen im GK-BetrVG zu
Rate ziehen kann.
Sehr gelungen
ist der folgende Überblick über die Einrichtungen, die unter den Begriff der
technischen Überwachungseinrichtung zu subsumieren sind, von A (wie
„Abhörgeräte“) bis Z (wie „Zugangskontrollsysteme“), bzw. Einrichtungen, die
dies eben nicht sind (§ 87, Rn. 576 bzw. Rn. 577). Der Leser erfährt hier etwa,
dass auch einfachste Software der Norm des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterfällt.
Selbst Standard-Browser (aufgrund der voreingestellten Speicherung von
Benutzerdaten) oder Gruppenkalender in Outlook (dazu eingehend LAG Nürnberg
NZA-RR 2017, 302) unterfallen der Mitbestimmung, ebenso wie die Ausstattung von
Arbeitsplatzrechnern mit entsprechenden Office-Programmen, da bei der Nutzung
solcher Software regelmäßig mindestens der Bearbeitungszeitpunkt gespeichert
wird (vgl. ErfK/Kania, 18. Aufl.
2018, § 87 BetrVG, Rn. 62). Sodann folgen noch Ausführungen zur Software, die –
so viel Detailgenauigkeit muss sein – allein betrachtet nie eine technische
Einrichtung darstellt, sondern immer nur in Verbindung etwa mit Bildschirm und
Rechner zur Überwachungseinrichtung wird (§ 87, Rn. 579), sowie zur
Telefonüberwachung. Schließlich – und nicht zu vernachlässigen – klären die
Bearbeiter, was unter „Einführung, Anwendung und Abschaffung“ der technischen
Einrichtungen zu verstehen ist (§ 87, Rn. 592 ff.) und vor allem, wie die
Mitbestimmung durchzuführen ist (§ 87, Rn. 603 ff.). Nur am Rande
berücksichtigt wird im Rahmen der Kommentierung zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
indes die EU-Datenschutzgrundverordnung (etwa bei § 87, Rn. 517), was
allerdings vernachlässigbar ist, da ihre betriebsverfassungsrechtlichen
Auswirkungen von Franzen ausführlich
behandelt werden (vgl. § 83, Rn. 42 ff.), worauf auch entsprechend verwiesen
wird.
Mit der
Einführung technischer Geräte in Zusammenhang steht auch noch eine andere
Problematik. Soll etwa eine neue Software eingeführt, stellt sich in größeren
Einheiten oftmals die Frage, wer auf Betriebsratsseite überhaupt zuständig ist.
So ist der Konzernbetriebsrat nach § 58 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich für die
Behandlung solcher Angelegenheiten zuständig, die den Konzern oder mehre
Konzernunternehmen betreffen und nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte
innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden können. Franzen beschäftigt sich nicht nur mit den Grundzügen der Regelung,
sondern erörtert auch eingehend die wichtige Zuständigkeitsfrage etwa
hinsichtlich technischer Systeme, die konzerneinheitlich eingeführt werden (§
58, Rn. 28). So ist der Konzernbetriebsrat richtigerweise jedenfalls dann zuständig,
wenn sich der Zweck der Regelung „nur
durch eine einheitliche Regelung auf der Konzernebene erreichen lässt“
(ibid.). In der Praxis kommt der Zuständigkeitsfrage vor allem dann Bedeutung
zu, wenn die verschiedenen Betriebsratsebenen verschiedene Auffassungen
vertreten und deshalb jeweils für sich die Zuständigkeit beanspruchen. Auch in
diesen Fällen wird der GK-BetrVG einige Hilfestellung leisten können,
wenngleich naturgemäß nicht jede Fallkonstellation abgebildet werden kann.
Mag der
mittlerweile vielfach verbreitete Einsatz des Fettdrucks von Schlagworten auch
in nahezu allen Fällen sinnvoll erscheinen, bei diesem Werk ist er besonders
nützlich. Die Fülle an ausgewerteter Judikatur und Literatur und die damit
einhergehend wiedergegebene Kasuistik macht es geradezu zwingend erforderlich,
dem Leser das Auffinden der einschlägigen Stelle durch den Fettdruck zu
erleichtern. Soweit ersichtlich wurde dies hervorragend umgesetzt. Auch das
angenehme Schriftbild sowie das in beiden Bänden vorhandene Lesebändchen
steigern das Lesevergnügen und die Nutzerfreundlichkeit. Ausführliche den
jeweiligen Kommentierungen vorangestellte Inhaltsübersichten sind bei einem
Werk wie dem vorliegenden selbstverständlich ebenso wie ein (in Band 2
untergebrachtes) umfangreiches Sachverzeichnis.
Schließlich ist
auf die Bezeichnung des GK-BetrVG als dem „wissenschaftlichen“ Kommentar zum
Betriebsverfassungsgesetz zurückzukommen. Diese resultiert wohl maßgeblich aus
der außerordentlich großen Anzahl zitierter Rechtsprechung und Literatur, die
schon mal eine halbe Seite füllt, und dem damit einhergehend Umfang des Werks.
Ferner ist aber auch die Herangehensweise äußerst wissenschaftlich. So werden
die Normen stets rechtswissenschaftlich erarbeitet, ausgehend von Wortlaut,
Zweck, Systematik und Historie, um zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen.
Die Neuauflage
des GK-BetrVG ist mithin rundum gelungen. Wer vielfach mit
betriebsverfassungsrechtlichen Fragen in Berührung kommt, wird diesen Kommentar
kennen und schätzen. Die zahlreichen Literatur- und Rechtsprechungshinweise,
die abweichende Auffassungen keinesfalls aussparen, machen den Kommentar aber
auch für die wissenschaftliche Arbeit äußerst interessant. Wer ausführliche und
hervorragend aufbereitete Kommentierungen zu betriebsverfassungsrechtlichen
Normen sucht, der wird im GK-BetrVG ohne Zweifel fündig werden.