Von Wirtschaftsjurist Christian Paul
Starke, LL.M., Bad Berleburg
Pünktlich
zum fünfzigsten Geburtstag seiner Erstveröffentlichung erscheint der vielen
Juristen wohl einfach nur als „Schmidt-Bleibtreu“
bekannte, ursprünglich von Dr. Bruno
Schmidt-Bleibtreu und Prof. Franz
Klein begründete, mittlerweile von Prof. Hans Hofmann und Prof. Hans-Günther
Henneke fortgeführte Kommentar zum Grundgesetz in seiner nunmehr 14.
Auflage. Die Liste der Mitwirkenden bietet auch diesmal eine bunte Mischung aus
wissenschaftlicher Theorie und Rechtsprechungs- sowie Verwaltungspraxis, häufig
ergänzt durch einen das verfassungsrechtliche Problemverständnis bereichernden
politischen Hintergrund der Bearbeiter.
Das
Werk befindet sich auf dem Rechtsstand vom August 2017. Es umfasst insgesamt
rund 3.500 Seiten. Da es sich um ein Hardcover handelt ist es sehr langlebig
und übersteht auch zahlreiche Transporte in der vollgestopften Tasche ins Büro
bzw. aus dem Büro ins heimische Arbeitszimmer problemlos. Zusätzlich ist es
auch noch mit einem Schutzumschlag versehen. Um diese Vielzahl an Seiten in dem
knapp 7 cm dicken Werk unterzubringen bedurfte es selbstverständlich der
Verwendung des typischen „Kommentar-Papiers“ mit all seinen Schwächen. So
lassen sich die Seiten zwar schnell durchblättern, neigen aber bei zu robuster
Arbeitsweise schnell zum reißen und Markierungen scheinen stark durch. Ebenso
sollte ein verwendeter Bleistift nicht zu spitz sein, möchte man das Werk nicht
dauerhaft ruinieren.
Der
Kommentar enthält ein ausführliches, beinahe 60-seitiges Stichwortverzeichnis,
das die Suche nach einzelnen Themen teilweise deutlich erleichtert. Allerdings
wäre es wünschenswert gewesen, die auf der Rückseite des Werkes explizit
genannten Themen und Entscheidungen des BVerfG auch in das Stichwortverzeichnis
aufzunehmen. So lassen sich Begrifflichkeiten wie das
Netzwerkdurchdringungsgesetz (welches zudem offiziell als „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“
bezeichnet wird), das NPD-Verbotsverfahren oder auch das Tarifeinheitsgesetz
nicht über die Stichwortsuche auffinden. Dies ist vor allem für Studierende,
die einen schnellen Einblick in die Auswirkungen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
erhalten oder sich einen ersten Überblick über die Thematik für eine Seminar-,
Schwerpunkt- oder Abschlussarbeit verschaffen wollen, ärgerlich, betrifft aber
auch alle anderen interessierten Leser. Diese müssen bereits wissen, um welche
konkreten Normen es bei der betreffenden Problematik geht, um die
entsprechenden Ausführungen im Werk auffinden zu können. Zudem ist die Aufnahme
der einzelnen Themen in das Stichwortverzeichnis nicht immer vollständig
erfolgt. So findet sich beispielsweise für die Entscheidung des BVerfG zum
Atomausstieg nur ein Verweis auf die Kommentierung bei Art. 12 GG, obwohl die
Entscheidung im Wesentlichen Art. 14 GG betraf und dementsprechend dort ebenfalls
kommentiert wird. Der am Ende der entsprechenden Ausführungen zu Art. 12 GG enthaltene
Hinweis auf die weiteren Ausführungen unter Art. 14 GG ist indes leicht zu
überlesen und verweist den Leser zudem auf eine falsche Randnummer. Der
Orientierungsfunktion des Stichwortverzeichnisses werden im laufenden Text noch
ergänzend Hervorhebungen wesentlicher Begrifflichkeiten durch Fettdruck zur Seite
gestellt. Auch die Auswahl dieser Begriffe erscheint allerdings nicht immer
nachvollziehbar, teilweise ist die Verwendung des Fettdrucks schon fast als
inflationär zu bezeichnen und wird ihrer Zwecksetzung damit nicht mehr gerecht.
Der
Kommentierung der einzelnen Normen des Grundgesetzes ist eine ausführliche
Einleitung vorangestellt. In dieser werden die historische Entwicklung Deutschlands
und des Grundgesetzes vom Ende des zweiten Weltkriegs bis heute dargestellt,
die Entstehung des Verfassungsstaates als solchem und für Deutschland im
Besonderen nachgezeichnet und die staatstheoretischen Grundlagen des Grundgesetzes
erläutert. Nach der Präambel – den Grundrechten vorangestellt – findet sich eine
Einleitung in die allgemeinen Grundrechtslehren. Hier werden insbesondere die
Fragen der Grundrechtsberechtigten und -verpflichteten sowie die unterschiedlichen
Funktionen der Grundrechte erläutert. Darüber hinaus werden auch die Grundzüge
der EMRK und der EuGRCh behandelt. Besonders Studierende werden sich zudem über
die Ausführungen zum Prüfungsaufbau einer Grundrechtsprüfung freuen.
Die
Kommentierung der jeweiligen Normen selbst beginnt mit dem Abdruck des
Normtextes und einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis der nachfolgenden
Ausführungen, das dem Leser die Orientierung erheblich erleichtert. Hieran
schließt sich ein Verzeichnis der für die konkrete Kommentierung verwendeten
und als weiterführende Literatur heranzuziehenden Monografien und Aufsätze an.
Dieses ergänzt das zu Beginn des Werkes zu findende allgemeine Literaturverzeichnis
mit den Standardwerken zum Verfassungsrecht in gelungener Art und Weise und
legt großen Wert auf eine möglichst vollständige Wiedergabe der zu den
entsprechenden Fragestellungen erschienen Literatur.
Bei
den Grundrechten folgt die Darstellung grob dem gewohnten Prüfungsaufbau aus
Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung. Hinzu kommen häufig allgemeine Ausführungen
zur Entstehungsgeschichte der Norm. Am Ende der Kommentierung folgt regelmäßig
eine Abgrenzung des Anwendungsgebietes zu den anderen grundrechtlichen
Gewährleistungen. Den größten Teil der Ausführungen nimmt aber jeweils – wie
von einem guten Kommentar zu erwarten – die Erläuterung der
verfassungsrechtlichen Teilprobleme der entsprechenden Regelung ein. Die
Ausführungen hierzu sind meist gut gelungen und geben die verschiedenen
Ansichten in Literatur und Rechtsprechung vollständig wieder. Allerdings
gelingt die Verzahnung der Einzelentscheidungen mit den allgemeinen
Ausführungen nicht immer optimal. So wird beispielsweise bei Art. 14 GG die
Frage des Atomausstieges ausführlich dargestellt, der in dieser vom BVerfG
betonte notwendige hoheitliche Güterbeschaffungsvorgang findet aber keinen
Eingang in die grundsätzliche Darstellung der Tatbestandsmerkmal einer
Enteignung. Ebenso ist die Zurückhaltung der Bearbeiter bei eigenen Wertungen zu
bedauern. So werden z.B. bei der – explizit auf der Rückseite des Werkes
beworbenen – „Ehe für alle“ zwar die relevante Rechtsprechung des BVerfG
dargestellt sowie die Befürworter und Gegner der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung
benannt, es erfolgt aber keinerlei Stellungnahme des Bearbeiters, ob die
entsprechende Gesetzesänderung seiner eigenen Ansicht nach als verfassungskonform
oder verfassungswidrig einzustufen ist. Dies ist sehr Schade, hätte doch hier
Raum für eine eigene vertiefte Auseinandersetzung mit der Verfassungsrechtslage
bestanden.
Insgesamt
kann aber auch die neue Auflage dieses Standardwerks zum Grundgesetz als gelungen
bewertet werden. Es gibt den aktuellen Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
umfassend wieder und ermöglicht dem Leser somit die Lösung aller auftretenden
verfassungsrechtlichen Fragestellungen im Einklang mit der vorherrschenden
Meinung, insbesondere der maßgeblichen Ansicht des Bundesverfassungsgerichts.
Mit einem Preis von 209 € ist es zudem vom Anschaffungsaufwand überschaubar und
dürfte für viele universitäre Bibliotheken sowie Anwaltskanzleien eine
sinnvolle Investition darstellen. Was den studentischen Privathaushalt angeht,
so wird es allerdings regelmäßig das für Bücher verfügbare Budget übersteigen. Für
die nächste Auflage wäre zum einen eine vertiefte Überarbeitung des
Stichwortverzeichnisses wünschenswert, um sich in der Vielzahl an Informationen
besser zurechtfinden zu können. Aktuell stellt dieses bei vielen Fragen für den
Nutzer leider keine wirkliche Hilfe dar. Zum anderen sei den Bearbeitern mit
auf den Weg gegeben, zukünftig doch etwas mehr „Mut zur Meinung“ zu beweisen.