Berchtold /
Huster / Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht, 2. Auflage, Nomos 2018
Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., Essen
Im Rahmen der
politischen Auseinandersetzungen spielt das Feld der Gesundheitspolitik stets
eine zentrale Rolle. Zunächst kommen dem aufmerksamen Beobachter des
politischen Geschehens dabei die Finanzierungsfragen mit der wohl nie endenden
Auseinandersetzung zwischen den grundlegend verschiedenen Konzepten von
Bürgerversicherung und Kopfpauschale in den Sinn. Aber auch die Struktur des
Gesundheitssystems – Stichwort Wettbewerb – sowie der Leistungsumfang sind
fortwährenden Veränderungen unterworfen. Letztere dürften vor allem dem
technischen bzw. medizinischen Fortschritt, den damit steigenden Ausgaben sowie
den wechselnden politischen Konstellationen geschuldet sein.
In ein sich
derart rasch entwickelndes Rechtsgebiet stießen Berchtold, Huster und Rehborn mit ihrem Kommentar
„Gesundheitsrecht“ vor, als sie im Jahr 2015 die Erstauflage herausgaben. Nach
drei langen Jahren war die Folgeauflage nunmehr überfällig, wie die rund 400
Seiten, die das Werk nochmals an Umfang gewonnen hat, sowie Zahl und Umfang der
in der Zwischenzeit verabschiedeten Gesetzesnovellen ungefähr erahnen lassen.
Im Bereich der Novellierungen sind etwa zu nennen das
GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG), das Heil- und
Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG), das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz,
das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG), das Präventionsgesetz (PrävG) sowie das
GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG).
Die Herausgeber
haben für dieses „Mammutprojekt“ gleich eine ganze Schar von sage und schreibe
68 Autoren versammelt. Diese breite, aus Wissenschaft, Justiz und
sozialrechtlicher Praxis stammende Autorenschaft führt dazu, dass die
Bearbeiter die jeweiligen Vorschriften mit der gebotenen Ausführlichkeit und in
der erforderlichen Tiefe behandeln können. Schon an dieser Stelle kann
festgehalten werden, dass die Vorschriften von SGB V und SGB XI derart
umfassend und dennoch prägnant kommentiert werden, dass Rixen bereits zur Erstauflage zu Recht die Prognose wagte, dieses
Werk könne zum „Palandt des SGB V und des
SGB XI“ werden (vgl. Rixen, MedR
2015, 554). Mit der vorliegenden Auflage ist das Werk diesem Prädikat
sicherlich noch ein ganzes Stück nähergekommen. Die von Rixen gezogene Parallele schlägt sich allerdings auch in der Haptik
des Druckpapiers wieder, dass – wie beim Palandt – äußerst dünn geraten ist.
Hervorragend
dargestellt ist etwa die Regelung der stufenweisen Wiedereingliederung nach §
74 SGB V, die nicht mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 167
SGB IX n.F. zu verwechseln ist. Können arbeitsunfähige Versicherte nach
ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können
sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich
besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt nach § 74
SGB V auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der
möglichen Tätigkeiten angeben. Damit enthält die Norm dem Wortlaut nach eine
rein formelle Regelung, bei der es Rechtsprechung und Literatur allerdings
nicht belassen haben. Berchtolds
Feststellung zu Beginn, der Normzweck sei „dunkel“ (§ 74 SGB V, Rn. 2), trifft
das Problem der Norm mithin ausgesprochen gut. Mag die Norm auch nicht viele
Folgerungen nach sich ziehen, so können aus ihr dennoch Konsequenzen für das
Arbeitsverhältnis des Versicherten erwachsen. Ungeachtet dessen, das es sich
bei dem hiesigen Kommentar nicht um arbeitsrechtliche Spezialliteratur handelt,
präsentiert Berchtold auch die
wichtigsten arbeitsrechtlichen Auswirkungen der Norm in prägnanter Form. So ist
ein Arbeitgeber zwar grundsätzlich nicht zur Annahme einer nur teilweise
angebotenen Leistung verpflichtet. Doch selbst im Falle der Annahme wird bei
der stufenweisen Wiedereingliederung keine Vergütung fällig; vielmehr wird –
neben der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit im Arbeitsverhältnis – ein
„Wiedereingliederungsverhältnis als Rechtsverhältnis eigener Art“ begründet (§
74 SGB V, Rn. 9). Grundsätzlich gilt das Prinzip der beiderseitigen
Freiwilligkeit; allein schwerbehinderte Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf
die Wiedereingliederung aus § 74 SGB V (vgl. BAG NZA 2007, 91), nach im
Vordringen befindlicher Auffassung folgt dieser nunmehr aus § 164 Abs. 4 S. 1
Nr. 1 SGB IX (ErfK/Preis, 18. Aufl.
2018, § 611a BGB, Rn. 114). Die Kommentierung umfasst insofern das Wesentliche,
was in der arbeitsrechtlichen Praxis zu bedenken sein wird. Gleiches gilt
sodann zu den sozialversicherungsrechtlichen Implikationen, etwa Fragen der
Versicherungspflicht während der stufenweisen Wiedereingliederung, die Berchtold ausführlich beantwortet (§ 74
SGB V, Rn. 12 ff.). Der Blick über den eigentlichen Wortlaut und
Regelungsinhalt einer Norm hinaus, der bei der Bearbeitung von § 74 SGB V
besonders deutlich hervorsticht, findet sich auch an vielen anderen Stellen im
Werk wieder und sei insoweit nur beispielhaft erwähnt.
Doch nicht nur
in den Spezialfragen, auch in den Grundzügen hat der Berchtold/Huster/Rehborn einiges zu bieten. So werden etwa die in
der Personalarbeit wichtigen Fragen der Versicherungspflicht bzw. -freiheit
umfangreich und äußerst verständlich behandelt, sowohl von Simon zu den §§ 5 ff. SGB V als auch von Simon und Wallrabenstein
zu den §§ 20 ff. SGB XI. Gleiches gilt für die detailliert behandelten
Vorschriften zur Beitragstragung, so etwa, Schlüter
die Regelung des Zusatzbeitrags in § 242 SGB V mitsamt seiner Entstehung und
den bisherigen Reformen darstellt, die schon bald in einer paritätischen
Tragung münden könnten. Ob damit allerdings das Ende des Zusatzbeitrags
besiegelt wird, scheint aufgrund seiner äußerst wechselvollen Geschichte
durchaus zweifelhaft.
Einzig der
fehlende und mittlerweile oftmals mitgelieferte Online-Zugang zur
Digitalversion des Werks stellt einen kleinen Wermutstropfen dar, der
allerdings den großartigen Gesamteindruck nur äußerst unwesentlich zu
beeinträchtigen vermag.
Insgesamt
betrachtet ist der Kommentar ein absoluter Glücksfall für alle, die regelmäßig
mit gesundheitsrechtlichen Fragen befasst sind. Der Berchtold/Huster/Rehborn in topaktueller Auflage ist sicherlich der
derzeit beste Kommentar auf dem Feld des Gesundheitsrechts. Wer mit dem
Gedanken spielt, einen SGB V- oder SGB XI-Kommentar zu erwerben, dem kann das
vorliegende Werk nur empfohlen werden.