Kästle-Lamparter / Jansen / Zimmermann (Hrsg.), Juristische Kommentare: Ein internationaler Vergleich, 1. Auflage, Mohr Siebeck 2020
Von
Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen
Die Literaturform des Kommentars
stellt eine Eigenart der juristischen Literatur dar. Entlang der Paragraphen
des jeweiligen Gesetzes werden in Kommentaren regelmäßig die einzelnen Normen zunächst
aufgeführt und im unmittelbaren Anschluss erläutert. Dabei werden einzelne
Begriffe der Norm vom Kommentierenden ausgelegt, Rechtsprechung und Literatur
ausgewertet, gefiltert und strukturiert sowie nicht zuletzt vertiefende
Hinweise gegeben. Aufgrund des Anwachsens von Gerichtsentscheidungen und auch
juristischen Fachveröffentlichungen sind Kommentare mittlerweile geradezu
erforderlich, um in der Praxis Rechtsfragen schnell und zielführend lösen zu
können. Andernfalls und ohne verfügbaren Kommentar müsste der Praktiker sich
bei vielerlei Problemen erst stunden- oder gar tagelang in die Rechtsprechung
einlesen, um einen Überblick zu erhalten, was schlechterdings undenkbar wäre.
So klar die Gattung des
juristischen Kommentars damit scheint, so wenig war sie doch bislang erforscht
worden. Der an der Universität Münster tätige Jurist und Habilitand David
Kästle-Lamparter hatte hierzu bereits mit seiner im Jahr 2016 erschienen
Dissertation „Welt der Kommentare: Struktur, Funktion und Stellenwert
juristischer Kommentare in Geschichte und Gegenwart“ Pionierarbeit
geleistet, indem er sich grundlegend mit der Bedeutung, Struktur und
Entwicklung von Kommentaren für ein Rechtssystem auseinandersetzte. Zuvor hatte
er bereits mit Nils Jansen das vergleichende Werk „Kommentare in
Recht und Religion“ herausgegeben (vgl. Besprechung hier
im Blog).
In dem nun vorliegenden
Buch, das Kästle-Lamparter gemeinsam mit Nils Jansen und Reinhard
Zimmermann herausgegeben hat, soll nunmehr vor allem der vergleichende,
internationale Blick auf die „Welt der Kommentare“, wie Kästle-Lamparter
sie bezeichnet, geworfen werden. In 17 Beiträgen, die wesentlich auf
Konferenzbeiträgen einer Tagung an der Universität Münster im Jahr 2019
aufbauen (vgl. den Tagungsbericht von Friedrichs, ZEuP 2020, 231), beleuchten
die versammelten Autorinnen und Autoren von ganz unterschiedlichen Warten aus
Bedeutung und Struktur von Kommentaren in verschiedenen Rechtskulturen.
Zunächst geht Kästle-Lamparter
in einem einführenden Beitrag der Frage nach den sog. „Kommentarkulturen“ nach.
Dabei wirft er gewissermaßen Schlaglichter auf die „Kommentarkultur in
Deutschland“ (S. 2 ff.), die Entwicklung der Kommentare in der europäischen
Rechtsgeschichte (S. 5 ff.) die Gattung der „Kommentare als Element der
Rechtskultur“ (S. 14 ff.) und skizziert schließlich das
Untersuchungsprogramm für das vorliegende Werk (S. 17 ff.), was vor allem
aufgrund der dort genannten „Leitmarken“ lesenswert ist. Die von Kästle-Lamparter
aufgeworfene Frage, „[ob] die Konzentration an Kommentaren im juristischen
Publikationswesen bald ihren Sättigungspunkt erreicht“ habe (S. 3), lässt
er selbst unbeantwortet. Doch scheinen Kommentare aus der gegenwärtigen
deutschen Rechtswissenschaft und -praxis nicht hinwegzudenken zu sein, sodass
der Sättigungspunkt wohl noch in weiter Ferne liegen dürfte. Insbesondere die
erst in ihren Anfängen zu beobachtenden Möglichkeiten und Folgen der Digitalisierung
werden hierfür von maßgeblicher Bedeutung sein, was an etlichen Stellen des
Bandes durchscheint (s. etwa S. 16 f.; S. 225 f., 433 f.).
In einem zweiten
einführenden Beitrag widmet sich Jansen einigen Beobachtungen zu
juristischen Literaturformen (S. 25 ff.). Dabei wagt er in 15 Thesen einen
Rundumblick auf die juristischen Literaturformen in Deutschland, von
Kommentaren und Lehrbüchern, über Gesetzeskommentare und Lehrbücher bis hin zum
Verhältnis von Rechtsprechung und Wissenschaft. In seinen Thesen gelangt Jansen
etwa zu dem Ergebnis, Kommentare hätten „maßgeblich zum Aufstieg des
Rechtsprechungsrechts im 20. Jahrhundert und zur Vorstellung vom positiven
Recht als einem Gewebe von Gesetz und Judikatur beigetragen“ (S. 42).
Angesichts dessen, dass Kommentare maßgeblich der Systematisierung, Filterung
und Aufbereitung von Rechtsprechung dienen, erscheint dieses Bild eines „Gewebes“
als sehr treffend und anschaulich.
Es folgen Beiträge zu
Struktur, Bedeutung und Entwicklung von Kommentarliteratur in verschiedenen
Rechtskulturen. Jean-Sébastien Borghetti berichtet über juristische
Publikationsformen in Frankreich, Francesco Paolo Patti zu Kommentaren
zum italienischen Zivilgesetzbuch und Jelle Jansen beleuchtet die Rolle
des Kommentars im niederländischen Privatrecht. Weitere Beiträge widmen sich
Lateinamerika (S. 123 ff.), Japan (S. 151), Polen (S. 175 ff.), Russland (S.
203 ff.), England (S. 227), USA (S. 277 ff.), Kanada (S. 295 ff.), Südafrika
(S. 317 ff.) sowie Israel (S. 331 ff.). Im Anschluss betrachtet Jens
Kleinschmidt noch die Kommentarliteratur im europäischen Privatrecht (S.
361 ff.), während Ralf Michaels die Kommentare zum transnationalen
Privatrecht näher beleuchtet (S. 395 ff.). Christian Dieffal setzt sich
zudem mit der Kommentarkultur im Völkerrecht auseinander (S. 417 ff.), bevor Reinhard
Zimmermann abschließend noch einen Blick auf privatrechtliche Kommentare im
internationalen Vergleich wirft (S. 441 ff.).
Die Beiträge,
überwiegend in deutscher, teilweise aber auch in englischer Sprache verfasst,
liefern eine Tour d’Horizon quer durch die Literaturform der Kommentare,
wobei jeder einzelne Beitrag spannende Fragen aufwirft und Aspekte zu Tage
fördert, die das Denken anregen. Gerade die einzelnen Länderberichte sind
insofern überaus lesenswert und schärfen den Blick auf das Ganze.
Den Herausgebern ist damit
ein lesenswertes Werk gelungen, das einen interessanten Einblick in die von Kästle-Lamparter
„Welt der Kommentare“ genannte Sphäre gibt und dabei stets die internationale
Perspektive bewahrt. Gewiss ist es kein Werk für die Rechtspraxis. Stattdessen
werden dem Leser hier Beiträge geboten, die sich abseits des Tagtäglichen mit
der wohl verbreitetsten Arbeitsgrundlage der Juristen in Deutschland befassen. Das
Buch erhellt die „Welt der Kommentare“, einen Bereich, mit dem sich die meisten
Juristen wohl bislang nicht vertieft auseinandergesetzt haben, und leistet
damit Grundlagenarbeit. Den Herausgebern ist damit ein Werk von bleibendem Wert
gelungen.