Montag, 8. Februar 2021

Rezension: Juristische Kommentare: Ein internationaler Vergleich

Kästle-Lamparter / Jansen / Zimmermann (Hrsg.), Juristische Kommentare: Ein internationaler Vergleich, 1. Auflage, Mohr Siebeck 2020

Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen


 

Die Literaturform des Kommentars stellt eine Eigenart der juristischen Literatur dar. Entlang der Paragraphen des jeweiligen Gesetzes werden in Kommentaren regelmäßig die einzelnen Normen zunächst aufgeführt und im unmittelbaren Anschluss erläutert. Dabei werden einzelne Begriffe der Norm vom Kommentierenden ausgelegt, Rechtsprechung und Literatur ausgewertet, gefiltert und strukturiert sowie nicht zuletzt vertiefende Hinweise gegeben. Aufgrund des Anwachsens von Gerichtsentscheidungen und auch juristischen Fachveröffentlichungen sind Kommentare mittlerweile geradezu erforderlich, um in der Praxis Rechtsfragen schnell und zielführend lösen zu können. Andernfalls und ohne verfügbaren Kommentar müsste der Praktiker sich bei vielerlei Problemen erst stunden- oder gar tagelang in die Rechtsprechung einlesen, um einen Überblick zu erhalten, was schlechterdings undenkbar wäre.

So klar die Gattung des juristischen Kommentars damit scheint, so wenig war sie doch bislang erforscht worden. Der an der Universität Münster tätige Jurist und Habilitand David Kästle-Lamparter hatte hierzu bereits mit seiner im Jahr 2016 erschienen Dissertation „Welt der Kommentare: Struktur, Funktion und Stellenwert juristischer Kommentare in Geschichte und Gegenwart“ Pionierarbeit geleistet, indem er sich grundlegend mit der Bedeutung, Struktur und Entwicklung von Kommentaren für ein Rechtssystem auseinandersetzte. Zuvor hatte er bereits mit Nils Jansen das vergleichende Werk „Kommentare in Recht und Religion“ herausgegeben (vgl. Besprechung hier im Blog).

In dem nun vorliegenden Buch, das Kästle-Lamparter gemeinsam mit Nils Jansen und Reinhard Zimmermann herausgegeben hat, soll nunmehr vor allem der vergleichende, internationale Blick auf die „Welt der Kommentare“, wie Kästle-Lamparter sie bezeichnet, geworfen werden. In 17 Beiträgen, die wesentlich auf Konferenzbeiträgen einer Tagung an der Universität Münster im Jahr 2019 aufbauen (vgl. den Tagungsbericht von Friedrichs, ZEuP 2020, 231), beleuchten die versammelten Autorinnen und Autoren von ganz unterschiedlichen Warten aus Bedeutung und Struktur von Kommentaren in verschiedenen Rechtskulturen.

Zunächst geht Kästle-Lamparter in einem einführenden Beitrag der Frage nach den sog. „Kommentarkulturen“ nach. Dabei wirft er gewissermaßen Schlaglichter auf die „Kommentarkultur in Deutschland“ (S. 2 ff.), die Entwicklung der Kommentare in der europäischen Rechtsgeschichte (S. 5 ff.) die Gattung der „Kommentare als Element der Rechtskultur“ (S. 14 ff.) und skizziert schließlich das Untersuchungsprogramm für das vorliegende Werk (S. 17 ff.), was vor allem aufgrund der dort genannten „Leitmarken“ lesenswert ist. Die von Kästle-Lamparter aufgeworfene Frage, „[ob] die Konzentration an Kommentaren im juristischen Publikationswesen bald ihren Sättigungspunkt erreicht“ habe (S. 3), lässt er selbst unbeantwortet. Doch scheinen Kommentare aus der gegenwärtigen deutschen Rechtswissenschaft und -praxis nicht hinwegzudenken zu sein, sodass der Sättigungspunkt wohl noch in weiter Ferne liegen dürfte. Insbesondere die erst in ihren Anfängen zu beobachtenden Möglichkeiten und Folgen der Digitalisierung werden hierfür von maßgeblicher Bedeutung sein, was an etlichen Stellen des Bandes durchscheint (s. etwa S. 16 f.; S. 225 f., 433 f.).

In einem zweiten einführenden Beitrag widmet sich Jansen einigen Beobachtungen zu juristischen Literaturformen (S. 25 ff.). Dabei wagt er in 15 Thesen einen Rundumblick auf die juristischen Literaturformen in Deutschland, von Kommentaren und Lehrbüchern, über Gesetzeskommentare und Lehrbücher bis hin zum Verhältnis von Rechtsprechung und Wissenschaft. In seinen Thesen gelangt Jansen etwa zu dem Ergebnis, Kommentare hätten „maßgeblich zum Aufstieg des Rechtsprechungsrechts im 20. Jahrhundert und zur Vorstellung vom positiven Recht als einem Gewebe von Gesetz und Judikatur beigetragen“ (S. 42). Angesichts dessen, dass Kommentare maßgeblich der Systematisierung, Filterung und Aufbereitung von Rechtsprechung dienen, erscheint dieses Bild eines „Gewebes“ als sehr treffend und anschaulich.

Es folgen Beiträge zu Struktur, Bedeutung und Entwicklung von Kommentarliteratur in verschiedenen Rechtskulturen. Jean-Sébastien Borghetti berichtet über juristische Publikationsformen in Frankreich, Francesco Paolo Patti zu Kommentaren zum italienischen Zivilgesetzbuch und Jelle Jansen beleuchtet die Rolle des Kommentars im niederländischen Privatrecht. Weitere Beiträge widmen sich Lateinamerika (S. 123 ff.), Japan (S. 151), Polen (S. 175 ff.), Russland (S. 203 ff.), England (S. 227), USA (S. 277 ff.), Kanada (S. 295 ff.), Südafrika (S. 317 ff.) sowie Israel (S. 331 ff.). Im Anschluss betrachtet Jens Kleinschmidt noch die Kommentarliteratur im europäischen Privatrecht (S. 361 ff.), während Ralf Michaels die Kommentare zum transnationalen Privatrecht näher beleuchtet (S. 395 ff.). Christian Dieffal setzt sich zudem mit der Kommentarkultur im Völkerrecht auseinander (S. 417 ff.), bevor Reinhard Zimmermann abschließend noch einen Blick auf privatrechtliche Kommentare im internationalen Vergleich wirft (S. 441 ff.).

Die Beiträge, überwiegend in deutscher, teilweise aber auch in englischer Sprache verfasst, liefern eine Tour d’Horizon quer durch die Literaturform der Kommentare, wobei jeder einzelne Beitrag spannende Fragen aufwirft und Aspekte zu Tage fördert, die das Denken anregen. Gerade die einzelnen Länderberichte sind insofern überaus lesenswert und schärfen den Blick auf das Ganze.

Den Herausgebern ist damit ein lesenswertes Werk gelungen, das einen interessanten Einblick in die von Kästle-Lamparter „Welt der Kommentare“ genannte Sphäre gibt und dabei stets die internationale Perspektive bewahrt. Gewiss ist es kein Werk für die Rechtspraxis. Stattdessen werden dem Leser hier Beiträge geboten, die sich abseits des Tagtäglichen mit der wohl verbreitetsten Arbeitsgrundlage der Juristen in Deutschland befassen. Das Buch erhellt die „Welt der Kommentare“, einen Bereich, mit dem sich die meisten Juristen wohl bislang nicht vertieft auseinandergesetzt haben, und leistet damit Grundlagenarbeit. Den Herausgebern ist damit ein Werk von bleibendem Wert gelungen.