Artkämper, Die
„gestörte“ Hauptverhandlung, 5. Auflage, Gieseking 2017
Von Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Strafrecht Johannes Berg, Kaiserslautern
Im Verlag Ernst und Werner Gieseking erscheint
in 5. Auflage die „gestörte“ Hauptverhandlung von Heiko Artkämper. Ich muss zunächst einräumen, als Verteidiger
sicher nicht optimaler Rezensent eines Werkes für die Justiz zu sein. Obgleich
dieses nämlich mitnichten der Bibliothek von Breidlingers „Notfallkoffer“ oder Heinrichs „Kampfansagen“ gegenüber der Konfliktverteidigung im
Strafprozess zuzurechnen ist (dazu Sommer
StV 2014, 443), täuscht das Vorwort insoweit, als Artkämper proklamiert, sich mit den nachfolgenden Ausführungen an
die in der Praxis tätigen Strafjuristen zu wenden.
Werden auch Verteidiger den Autor für
die Klarstellung des Begriffs der Konfliktverteidigung in Abgrenzung zu
Klamauk-, Krawall- und Chaosverteidigung loben, so dürfte seine Einschätzung,
die Beachtung von Presseresonanz sei nach dem Standesrecht der Anwaltschaft legitim (Rn. 38; vgl. BVerfG,
Beschluss vom 14.07.1987 – 1 BvR 537/81 = BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191;
Beschluss vom 14.07.1987 - 1 BvR 362/79 = BVerfGE 76, 196 =NJW 1988, 194 ),
ebenso wenig Lust auf die weitere Lektüre machen, wie seine Doktrin,
Staatsanwaltschaft und Gerichte seien im Gegensatz zur Verteidigung dazu
berufen, den Rechtsstaat zu „retten“ (Rn. 18). Seine Sicht der Dinge wird
jedoch keineswegs bei jedem Staatsanwalt oder Richter zutreffen. Vielmehr wird
ein Großteil seiner Leser weiterhin aktive und effektive Verteidigung mit einer
solchen verwechseln, die den Konflikt um seiner selbst willen sucht.
Äußerst begrüßenswert ist insoweit die
Mitarbeit seines Sohnes Leif Gerrit
Artkämper, der für „junges Blut“ in der Bearbeitung sorgt.
Nach Einleitung, (selbst-)kritischem
Prolog und der Klärung einiger Temini setzt sich das Werk anhand von
mittlerweile 621 Fällen, rechtlich stets äußerst fundiert und thematisch wie
optisch strukturiert, mit klassischen Eskalationssituationen im Strafprozess,
zumeist ausgehend von Angeklagtem oder Verteidiger, auseinander. Zur
entsprechenden Verbescheidung finden sich – inklusive kostenlosem Download auf
der Homepage des Verlages – 60 Muster zur Verwendung gegen typische Störungen
der Hauptverhandlung. Dabei gelingt es dem Autor gerade durch den Aufbau anhand
der zahlreichen, teils skurrilen oder absurden Fallbeispiele, den Leser auf den
immerhin 654 Seiten zu keiner Zeit zu langweilen.
Nach der Darstellung des dazu
erforderlichen Handwerkszeugs der StPO treten die wohl größten Stärken des
Buchs zu Tage, wenn sich Artkämper
auf den letzten 80 Seiten mit Kommunikation und Informationsverarbeitung im
Strafverfahren befasst. Dort finden sich sehr nützliche Ansätze, ein
Verständnis für das Entstehen von Konfliktsituationen zu ermöglichen. Womöglich
wäre es sinnvoller, diesen Teil in den Anfang der Darstellung aufzunehmen. Bei
der genannten retrospektiven Betrachtung gerät nach meinem Dafürhalten allzu
schnell aus dem Fokus der potentiellen Leser (aus dem Kreis der Justiz), woraus
ernsthafte Konflikte im Strafprozess überhaupt entstehen. Dazu gehört
naturgemäß, die Sicht der Verteidigung zu verstehen. Denn auch Verteidiger, die
ihre Aufgabe im Beitrag zum Finden einer sachgerechten Entscheidung sowie darin
sehen, das Gericht wie auch Staatsanwaltschaft und weitere Behörden vor
Fehlentscheidungen zulasten des eigenen Mandanten zu bewahren und diesen vor
verfassungswidriger Beeinträchtigung oder staatlicher Machtüberschreitung zu
sichern (BVerfG, Beschluss vom 10.07.1996 – 1 BvR 873/94 = NStZ 1997, 35),
werden bei aktiver Verteidigung allzu oft in ihrem Anliegen missverstanden. So
kann beispielhaft ein auf den ersten Blick „unsinniger“ Antrag ebenso wie ein
provozierter Schlagabtausch zwischen Verteidiger und Vorsitzendem dem ersteren
dazu dienlich sein, das Gericht für sich lesbar zu machen (vgl. Rostek, Verteidigung in
Kapitalstrafsachen, 2. Auflage, 2012, Rn. 196, 199).
Womöglich liegt es nach der Einschätzung
Artkämpers nicht an der Sicht eines
Verteidigers („Müssen wir heute nach StPO verhandeln?“, Rn. 15), jedoch wären
nach meinem Dafürhalten zahlreiche Konflikte vorab dadurch zu vermeiden, dass
die Gerichte das Verfahrensrecht korrekt anwenden und etwa ständige Fehler wie
falsche bzw. fehlende Belehrungen nach § 55 StPO oder Verstöße gegen § 69 Abs.
1 S. 2 StPO beheben. Vor diesem Hintergrund läge es auf der Hand, auch hier die
Leser entsprechend aufmerksam zu machen. Beispielhaft sind die Ausführungen Rn.
506, 507 zur Auswahl des Sachverständigen durch den Staatsanwalt zu nennen.
Nachdem in der Praxis Nr. 70 Abs. 1 RiStBV überwiegend missachtet wird, vermag
das bloße Zitat nicht zu genügen. Gleiches gilt für die regelmäßig Streit
verursachende Problematik, welche Aktenteile dem Sachverständigen zur Verfügung
zu stellen sind; dürfte doch die „Gefahr“, der Sachverständige könne bei
Erhebung von Zusatztatsachen abgelehnt werden, gegenüber derjenigen
tatsächlicher Befangenheit marginal sein (Rn. 508). Dieses umzusetzen gelingt
dem Autor an anderer Stelle etwa mit den Ausführungen zu einem Verhandlungsplan
und dem unstörbaren/ungestörten Auftakt der Hauptverhandlung ganz hervorragend
(Rn. 616, 624, 629).
Das Buch vermittelt demnach das
vonseiten der Justiz benötigte Handwerkszeug, Konflikte zu durchstehen und zu
beenden. Auch liefert es einige Munition, dieselben gar nicht erst entstehen zu
lassen, worauf nach meinem Dafürhalten allerdings noch mehr Wert gelegt werden
sollte.
Um zu einem Fazit zu gelangen:
wenngleich eine strukturell stärkere Beschäftigung mit Konfliktentstehung das
Werk zu einem größeren Gewinn für das Strafrecht machen würde, handelt es sich
für Staatsanwälte und Richter um ein wissenschaftlich fundiertes, eingängiges und sehr praxistaugliches Werk, das diesen
wärmstens empfohlen sei.