Von Rechtsanwalt Dr. Arian Nazari-Khanachayi, LL.M. Eur.,
Berlin
Das
Bürgerliche Recht spielt nicht nur in den juristischen Staatsprüfungen eine
immense Rolle, sondern ist auch im Praxisalltag von grundlegender Relevanz: So
kann beispielsweise ohne (Grund-)Kenntnisse der Differenzhypothese die
praktische Beratung – auch – im Arbeitsrecht, etwa im Bereich des
innerbetrieblichen Schadensausgleichs nicht auf hohem Niveau gelingen und ohne
(Grund-)Kenntnisse des Bereicherungsrechts kann die praktische
Folgenabschätzung bei Aufhebung von Verwaltungsakten nicht adäquat erfolgen.
Diese Beispielsliste lässt sich beliebig fortführen: Der kleinste gemeinsame
Nenner wird stets darin liegen, dass die dogmatischen Kernelemente des
Bürgerlichen Rechts für die gesamte Rechtsordnung einen hohen Stellenwert
einnehmen, somit von jedem (Voll-)Juristen beherrscht werden sollten. An diesem
Punkt eignet sich das Werk von Professor Dr. Haimo
Schack, LL.M. (Berkeley), Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht,
Internationales Privat- und Zivilprozessrecht, Urheberrecht an der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, und Dr. Hans-Peter Ackmann, LL.M. (Berkeley), Rechtsanwalt in Köln,
sowohl für Studierende als auch für Referendare und Praktiker, die sich das
Bürgerliche Recht anhand grundlegender Leitentscheidungen erschließen, ihre
Kenntnisse vertiefen oder auffrischen wollen.
Die
Besonderheit des Werkes besteht nicht nur in der Auswahl von 100
Leitentscheidungen zu den jeweiligen Rechtsgebieten der fünf Bücher des
Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern darüber hinaus durch einerseits die Aufnahme
diverser Entscheidungen zur aktuellen Rechtslage und andererseits deren
weiterführende Präsentation. Vor diesem Hintergrund gilt es zwei inhaltliche Vorzüge
des Werkes hervorzuheben: Ein Vorzug besteht darin, dass darin nicht nur „Klassiker“ des Bürgerlichen Rechts,
sondern auch diverse aktuelle Leitentscheidungen aufgeführt werden. Beispielsweise
wird mit der Entscheidung Nr. 41 (S. 267 ff.) die Rechtsprechungsänderung
des BGH zur Beweislastumkehr nach § 476 BGB dargestellt: So hatte der BGH bis
zum Urteil vom 12. Dezember 2016 (VIII ZR 103/15) in ständiger Rechtsprechung
bei der Anwendung der Beweislastumkehr nach § 476 BGB grundsätzlich danach unterschieden,
ob die Frage des Mangels als solche betroffen sei (Keine Anwendung des § 476
BGB, also volle Darlegungs- und Beweislast des Verbrauchers dafür, dass ein
Mangel vorliegt und innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang aufgetreten
ist) oder die Frage nach der zeitlichen Entstehung des Mangels, welcher sich
innerhalb von sechs Monaten nach Übergabe zeige, streitig sei (§ 476 BGB
anzuwenden, also Vermutung des Vorliegens des Mangels beim Gefahrübergang)
(vgl. auch Entscheidung Nr. 41 S. 270). Nach dem Urteil des EuGH vom 4. Juni
2015 in Sachen Faber konnte diese Differenzierung wegen ihrer Unionsrechtswidrigkeit
nicht aufrecht gehalten werden. In der Folge war der BGH somit zur Änderung
seiner bisherigen Rechtsprechung gezwungen (näher Entscheidung Nr. 41 S. 273 ff.),
so dass die Aufnahme dieser Entscheidung – neben den „Klassikern“ – besonders erfreulich ist. Ähnlich verhält es sich mit
der Aufnahme der anderen aktuelleren Entscheidungen.
Ein
weiterer, hervorzuhebender Vorzug des Werkes besteht in den „Anregungen zur Vertiefung“, die im
Anschluss an die jeweiligen Entscheidungen aufgeführt werden. In diesen Abschnitten
wird auf besonders instruktive Weise das eigenständige Nachdenken und die
Überprüfung des eigenen Verständnisses des Lesers angeregt. Die Autoren stellen
einzelne Fragen mit Bezug auf die Entscheidungen, die der Leser nur durch
Fortdenken der jeweiligen Entscheidung unter Berücksichtigung der
systematischen Grundlagen des Bürgerliches Rechts beantworten kann:
Beispielsweise wird nach der Darstellung der Entscheidung zur Versteigerung im
Internet (Nr. 3 S. 11 ff.; BGH Urt. v. 7.11.2001 – VIII ZR 13/01) gefragt, wie
sich der Fall ändern würde, wenn der Verkäufer im Rahmen der „Versteigerung“ im
Internet zwecks Preisgestaltung selbst mitbieten würde. Im Anschluss an die
aufgeworfene Frage wird ein Hinweis zur vertiefenden Lektüre zwecks
Beantwortung der Frage gegeben (z.B. auf den instruktiven Beitrag von Linardatos, JURA 2015, 1339 ff., zum
Problem des „Shill Bidings“). Hierdurch
kann der Leser die empfohlene Literatur aktiv (d.h. vor dem Hintergrund der
aufgeworfenen Frage) durchlesen. In der Folge kann der Leser – im Idealfall – sowohl
die aufgeworfene Frage beantworten, folglich sein Verständnis über die
Entscheidung überprüfen als auch die Entscheidung unter Berücksichtigung seiner
systematischen Gesamtstellung im und weiteren Berührungspunkte zum Bürgerlichen
Recht gedanklich einordnen.
Mithin ist das
Werk im Bücherregal eines jeden Studierenden und (Voll-)Juristen gut aufgehoben
und im Bücherregal von Zivilrechtlern ein Muss. Auf der einen Seite lässt sich
das Werk – gerade in Vorbereitung auf die juristischen Staatsprüfungen –
hervorragend dazu einsetzen, sich anhand von Leitentscheidungen die
dogmatisch-systematischen Feinheiten des Bürgerlichen Rechts im Wege induktiven
Denkens zu erarbeiten. Auf der anderen Seite kann jeder (Voll-)Jurist mittels
dieses Werkes sein dogmatisch-systematisches Wissen im Bürgerlichen Recht durch
die Lektüre – auch älterer – Rechtsprechung aufgrund der vorzüglichen Auswahl
und der leserfreundlichen Aufbereitung auffrischen oder sich ein solches
erarbeiten. Denn zum Schluss kann nur mit den Worten der Autoren nochmals mit
Nachdruck hervorgehoben werden: „Ziel
einer wissenschaftlichen Juristenausbildung, die auch den Anforderungen der
Praxis Rechnung trägt, kann es nicht sein, die Studierenden mit immer weniger
Wissen immer früher ins Examen zu schicken“ (Schack/Ackmann, Vorwort zur siebten Auflage).