Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage, Mohr
Siebeck 2018
Von Wirtschaftsjurist Christian Paul Starke, LL.M., Bad
Berleburg

„Meinungsfreudig“: Kaum ein anderes Wort beschreibt
die unter Herausgeberschaft von Horst Dreier erschienene Kommentierung
zum Grundgesetz wohl besser. Hieran hat sich auch in der mittlerweile 3. Auflage
des dreibändigen Werkes – man will sagen: zum Glück! – nichts geändert. Gewohnt
kritisch, hochkarätig und scharfsinnig, zugleich häufig abseits des
juristischen Mainstreams, präsentieren sich auch diesmal wieder die Analysen
und Bewertungen der Bearbeiter der einzelnen Grundgesetzartikel. In bekannter
Tradition steht auch das Publikationsprinzip des Werkes: wie bereits bei den
beiden Vorauflagen sind die einzelnen Bände nicht als geschlossenes Gesamtwerk,
sondern erst sukzessive veröffentlicht worden. Nachdem bereits 2013 der erste
Band in aktualisierter Form auf den Markt gekommen war und ihm 2015 der zweite
gefolgt ist, wurde das Werk im Frühsommer 2018 schließlich mit dem Erscheinen
des dritten und letzten Bandes komplettiert.
Auch sonst hat sich im Vergleich zur Vorauflage auf
den ersten Blick nicht allzu viel verändert: Das Werk kommt immer noch mit der
beeindruckend geringen Anzahl von gerade einmal – rechnet man kurzfristig
notwendig gewordene Vertretungen heraus – zehn Bearbeitern aus. Diesen Wert
erreichen andere Kommentare desselben Umfangs bereits in einem einzigen Band.
Dieser Umstand macht sich selbstverständlich auch bei den Ausführungen zu den
einzelnen Normenkomplexen positiv bemerkbar: Die von ein und demselben Autor
verfassten Abschnitte wirken merklich aufeinander abgestimmt und oftmals „wie
aus einem Guss“. Allerdings hat es gegenüber der 2. Auflage einige
Veränderungen aufseiten der Bearbeiter gegeben. So sind neben Herrn Prof. Dr. Johannes Masing, der 2008 zum Bundesverfassungsrichter ernannt wurde, auch
Herr Prof. Dr. Dr. hc. Ingolf Pernice sowie die mittlerweile
emeritierten Professoren Dr. Rolf Gröschner und Dr. Rupert Stettner aus dem
Autorenstab ausgeschieden. Darüber hinaus konnte Herr Prof. Dr. Dr. hc. Werner Heun aufgrund seines bedauerlichen Todes im September 2017 die
Kommentierung „seiner“ Artikel leider nicht vollenden. Ihm folgt sein Schüler
und Habilitand PD Dr. Alexander Thiele
nach. An seiner Seite neu im Kreis der Bearbeiter sind auch Herr Prof. Dr. Fabian Wittreck von der Universität
Münster, Herr Prof. Dr. Ferdinand
Wollenschläger von der Universität Augsburg sowie Frau Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf von der Universität Hannover, die nach der Wahl
von Frau Prof. Dr. Gabriele Britz zur
Bundesverfassungsrichterin kurzfristig deren noch offene Artikel zur
Kommentierung übernommen hat.
Entsprechend dem sukzessiven Erscheinen der einzelnen
Bände befinden sich diese auf ganz unterschiedlichen Rechtsständen: So ist im
ersten Band zu den Artikeln 1 – 19 die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes bis zum Sommer 2012 berücksichtigt worden, der
zweite Band zu den Artikeln 20 – 82 befindet sich auf dem Rechtsstand vom
Frühjahr 2015, wobei aber noch vereinzelte Judikate bis zum September desselben
Jahres Berücksichtigung bei der Bearbeitung gefunden haben, während sich der
zuletzt erschienene dritte und letzte Band zu den Artikeln 83 – 146
schlussendlich auf dem Stand vom Herbst 2017 befindet. Damit wird auch sofort
klar, dass insbesondere in den ersten beiden Bänden zahlreiche seit deren
Erscheinen ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts keinen
Eingang gefunden haben können. Folglich sind einige Aussagen leider bereits mit
Stand heute nicht mehr aktuell. So fehlen – um nur zwei prominente
Beispiele zu nennen – sowohl die Ausführungen des Gerichts zur konstitutiven
Bedeutung des Güterbeschaffungsvorgangs für das Vorliegen einer Enteignung
i.S.d. Art. 14 Abs. 3 GG aus der Entscheidung zum Atomausstieg als auch das im
Urteil zum zweiten NPD-Verbotsverfahren von 2017 statuierte Erfordernis der
Potentialität der Zielerreichung für die Zulässigkeit eines Parteienverbots.
Allerdings hatte Prof. Dr. Morlok als
zuständiger Bearbeiter in seinen Ausführungen zu Art. 21 GG zumindest bereits
kurz angedeutet, dass die frühere Auslegung der Vorschrift durch das
Bundesverfassungsgericht in Anbetracht der Rechtsprechung des EGMR eventuell
einiger Korrekturen bedürfen könne. Ähnliches gilt für die Frage der
verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der sog. „Ehe für alle“, also der Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtlichen Paare: Obwohl die
ganz große rechtswissenschaftliche Diskussion um die Vereinbarkeit dieses
Vorhabens mit dem Grundgesetz erst angesichts der einfachgesetzlichen Öffnung
der zivilrechtlichen Ehe für gleichgeschlechtliche Paare durch die große
Koalition im Jahr 2017 geführt wurde, finden sich auch hierzu bereits
zahlreiche tiefgehende und überzeugende dogmatische Überlegungen in der
Kommentierung zu Art. 6 GG, so dass die Ausführungen trotz ihres überholten
Rechtsstandes aktuell wirken. Demgegenüber sind aber z.B. im zweiten Band
bereits die neusten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftssteuer
und zum Kopftuchverbot ebenso berücksichtigt worden wie diejenige zur
Verfassungskonformität des Betreuungsgeldes.
Mit Blick auf den Text des Grundgesetzes selbst fehlen
aufgrund der Datierung des zweiten Bandes lediglich die – erst 2017 in Reaktion
auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren – an der
Bestimmung des Art. 21 GG vorgenommenen Änderungen. Demgegenüber hat die 2012
mit Art. 93 Abs. 1 Nr. c GG neu eingefügte Nichtanerkennungsbeschwerde zum
Bundesverfassungsgericht ebenso Eingang in die Kommentierung gefunden wie die
zahlreichen, ebenfalls 2017 im Rahmen der Neuregelung des
Bund-Länder-Finanzausgleichs ergangenen Neuregelungen und Umgestaltungen des
Grundgesetzes – zumal für deren Berücksichtigung der Erscheinungstermin des
Werkes extra nach hinten verschoben wurde.
Der Kommentar umfasst insgesamt drei Bände mit
zusammengenommen über 6.000 Seiten. Der erste Band beinhaltet die
Verkündungsformel, die Präambel sowie die Artikel 1 – 19, der zweite Band dann
die Artikel 20 – 82 und der dritte Band letztlich die Artikel 83 bis 146. Es
handelt sich bei den einzelnen Bänden um Hardcover, welche zudem durch einen
Schutzumschlag gut vor äußerlichen Beschädigungen geschützt sind. Mit ihrem
hohen Gewicht und einer Tiefe von jeweils gut 7 cm eignen sie sich allerdings
nicht für den Transport in der Aktentasche und sollten besser dort, wo sie am
häufigsten zum Einsatz kommen, aufbewahrt werden. Die Seiten bestehen aus – für
einen Kommentar – außergewöhnlich dickem und robustem Papier, so dass sie auch
bei regelmäßigem intensivem Gebrauch weder reißen noch zerknittern. Vielmehr
sind Unterstreichungen und Markierungen sowohl mit Bleistift als auch mit
Kugelschreiber problemlos möglich, ohne dass diese allzu sehr auf die Rückseite
durchscheinen würden. Dies macht die Arbeit mit dem Werk sehr angenehm.
Besonders positiv hervorzuheben ist zudem, dass in jedem Band zwei
Einlegebändchen vorhanden sind, mittels derer man sich bei der Arbeit schnell
Lesezeichen setzen kann. Dies gestaltet die Arbeit in vielen Fällen wesentlich
komfortabler.
Das Werk beinhaltet in jedem Band ein sehr
ausführliches, jeweils rund 50 Seiten umfassendes Sachregister, welches dem
Nutzer das Auffinden der einzelnen Themen und Suchbegriffe deutlich
erleichtert. Die Register beschränken sich allerdings bedauerlicherweise auf den jeweiligen Band, so dass sich die
Suche bei bestimmten normübergreifenden Problemkomplexen – z.B. aus
Grundrechten und Kompetenzvorschriften – als unnötig umständlich erweist.
Hier wären zumindest Verweise auf die Sachregister der anderen Bände
wünschenswert gewesen. Demgegenüber überzeugen die Sachregister aber inhaltlich
in vollem Maße: Sie beinhalten alle zentralen Schlagworte und ermöglichen so
eine zielgenaue Navigation durch die ansonsten kaum überschaubare Menge an
Ausführungen. Die Orientierungshilfe durch das Stichwortverzeichnis wird
ergänzt durch im laufenden Text enthaltene Hervorhebung wesentlicher
Begrifflichkeiten in Fettdruck. Die Auswahl der Begriffe wirkt dabei zumeist
gut gewählt und erleichtert das Auffinden der relevanten Abschnitte, zumal die
Verwendung des Fettdrucks sparsam erfolgt und damit ihrer strukturierenden
Funktion gerecht wird.
Zudem gibt es zu Beginn eines jeden der drei Bände
eine Übersicht der gesamten Änderungen des Grundgesetzes seit seiner
Verabschiedung, die neben dem offiziellen Namen, dem Datum und der Fundstelle
des Änderungsgesetzes im Bundesgesetzblatt auch alle geänderten
Grundrechtsartikel aufführt. Dies ist insbesondere mit Blick auf die bei der Kommentierung
berücksichtigten Änderungen äußerst hilfreich, aber auch bei der sonstigen
Recherche eine große Unterstützung. Eingangs der Bände findet sich mit Blick
auf die verwendete Literatur zudem ein sehr umfangreiches – unglücklicherweise
in das Abkürzungsverzeichnis integriertes und deshalb ziemlich
unübersichtliches – Verzeichnis der Standardwerke. Dieses umfasst neben
den einschlägigen Grundrechtskommentaren und -lehrbüchern zusätzlich auch heute
weniger geläufige Werke, weshalb es für Studierende und Forschende eine
nützliche Quelle der Inspiration bei der Suche nach weiterführender insbesondere
verfassungsrechtlicher Literatur darstellt. Zu Beginn der Kommentierungen zu
den einzelnen Artikel findet sich zudem ein ausführliches, speziell auf die
nachfolgenden Ausführungen bezogenes Literaturverzeichnis, das praktischerweise
nochmals nach den übergeordneten Gliederungsebenen der Ausführungen
differenziert und dem Verwender damit zielgenaue Literaturhinweise für eine
weiterführende und vertiefte Recherche zu den einzelnen Aspekten der
grundrechtlichen Problematiken liefert. An dieser Stelle findet sich darüber
hinaus auch eine Übersicht der jeweiligen relevanten Leitentscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts zu dem einzelnen Artikel. In dieser sind – was
besonders positiv hervorzuheben ist – auch die konkret bedeutsamen Fundstellen innerhalb
der Entscheidungen benannt, so dass der Nutzer des Kommentars nicht lange zu
suchen braucht, sondern die Ausführungen des Gerichts auf Anhieb finden und im
Original nachlesen kann. Diese individuell grundrechtsbezogenen Listen werden
durch zwei umfassende Übersichten mit den zitierten Fundstellen der
verfassungsgerichtlichen Judikatur am Ende des Werkes komplettiert, die einmal
die geläufigen schlagwortartigen Bezeichnungen der Judikate aufführen und zum
anderen die Parallelfundstellen der Entscheidungen in der NJW und der JZ
enthalten. Für die nächste Auflage bliebe hier allerdings zu überlegen, ob die beiden
Listen nicht zusammengefasst werden sollten, um ein umfassendes Entscheidungsverzeichnis
mit Datum, Aktenzeichen und Namen der Entscheidung, ihrer amtlichen Fundstelle sowie
den bedeutsamsten Parallelfundstellen zu schaffen.
Der grundlegende Aufbau des Kommentares folgt dem
bekannten und bewährten Schema aus einer Kommentierung der Präambel gefolgt von
allgemeinen grundrechtsdogmatischen Vorbemerkungen sowie letztlich der Kommentierung
der einzelnen Grundrechtsartikel. Darüber hinaus sind an einzelnen anderen
Stellen ebenfalls allgemeine Vorbemerkungen zu den nachfolgenden Abschnitten zu
finden. Nach dem Abdruck des Textes des jeweiligen Grundrechtsartikels, dem grundrechtsspezifischen
Literaturverzeichnis und der Liste der verfassungsgerichtlichen
Leitentscheidungen zu der konkreten Norm folgt neben dem obligatorischen
Inhaltsverzeichnis der Kommentierung auch noch ein besonderes Stichwortverzeichnis
für die jeweiligen Darstellungen, in dem sich – noch über die im allgemeinen
Sachverzeichnis aufgeführten Suchbegriffe hinausgehende – relevante Schlagworte
mit Bezug zu den nachfolgenden Ausführungen finden. Dieses stellt eine große
Hilfe bei der Suche innerhalb der jeweiligen Kommentierung dar und ist als
Besonderheit des vorliegenden Werkes an dieser Stelle positiv hervorzuheben.
Der Aufbau der einzelnen Kommentierungen erfolgt stets nach demselben Schema: Zunächst
wird mit der Darstellung der Herkunft, Entstehungsgeschichte und Entwicklung
der Bestimmung begonnen, daran schließen sich Ausführungen zu den
internationalen, supranationalen und rechtsvergleichenden Bezügen der Norm an,
bevor im dritten Abschnitt die konkrete Erläuterung des Normtextes folgt.
Beschlossen wird die Kommentierung letztlich mit der Darstellung des
Verhältnisses der jeweiligen Bestimmung zu den anderen Vorschriften des GG.
Diese Einbettung in den Gesamtkontext des Grundgesetzes fördert das Verständnis
für das „große Ganze“ unserer Verfassung und das Ineinandergreifen ihrer
einzelnen, teilweise örtlich doch recht verstreut und unzusammenhängend
wirkenden Bestimmungen.
Die Vorbemerkungen vor Art.
1 GG beginnen mit einer ausführlichen Herleitung des Ursprungs der modernen
Menschenrechte, die sowohl die aufklärerisch-philosophischen als auch die
christlichen Lehren auf ihre Bedeutung für die Menschenrechtsidee untersucht
und in einer überzeugenden Argumentation letztlich das rationalistische
Naturrecht als die prägende Wurzel der heutigen Menschenrechte identifiziert.
Auch die ausführlichen Darstellungen der Entwicklung der geschriebenen
Menschenrechtskataloge ab 1776 und ihrer Bedeutung für die deutsche
Verfassungsgeschichte wissen zu überzeugen und bilden einen guten Ausgangspunkt
für das weitere inhaltliche Verständnis der Verfassung im Allgemeinen und der
Grundrechte im Besonderen. An diese verfassungsgeschichtlichen Ausführungen und
den Blick auf die internationalen Menschenrechtskataloge schließt sich sodann
eine ausführliche Darstellung der sog. „allgemeinen Grundrechtslehren“ an, in
der neben den verschiedenen Unterscheidungsmerkmalen der Grundrechte , ihren
Wirkdimensionen und der Frage nach ihren Berechtigten und Verpflichteten auch
der grundsätzliche Prüfungsaufbau einer Grundrechtsverletzung abstrakt
dargestellt wird. Dieser Abschnitt ist besonders für Studierende eine klare
Leseempfehlung, spricht er doch vielfältige Problematiken, wie z.B. das bis
heute aktuelle Problem der mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffe durch
staatliche Warnungen und Informationen (zuletzt im März 2018 in der
Entscheidung des BVerfG zu § 40 Abs. 1a LFGB thematisiert), an. Dies gilt
ebenso für den daran anschließenden Abschnitt zur Grundrechts- und Schrankenkonkurrenz,
stellt diese doch in der Prüfungspraxis ein häufig anzutreffendes Problem dar.
Die Darstellung der
grundrechtlichen Gewährleistungen ist nicht immer einheitlich, orientiert sich
aber im Großen und Ganzen am klassischen Aufbau von Schutzbereich, Eingriff und
Rechtfertigung. Dabei wird der Schutzbereich zumeist „vor die Klammer“ gezogen,
während Eingriff und Rechtfertigung unter dem Stichwort des „Abwehrcharakters“
behandelt und den sonstigen objektiv-rechtlichen Wirkdimensionen des Grundrechts
gegenübergestellt werden. Neben den allgemeinen Ausführungen finden sich hier auch
stets dezidierte Untersuchungen wesentlicher Teilprobleme aus Literatur und
Rechtsprechungen. Als besonders positiv sollen an dieser Stelle die – noch vor
der einfachgesetzlichen Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare
verfassten – Ausführungen zur Notwendigkeit einer Geschlechterverschiedenheit
der Ehepartner hervorgehoben werden. Die hierzu verfassten – wenn leider auch
etwas über die Kommentierung des Art. 6 GG verstreuten – Darstellungen setzen
sich in wunderbar strukturierter und argumentierter Art und Weise mit der Frage
des Verfassungswandels aufgrund geänderter gesellschaftlicher Anschauung und dem
Inhalt des Rechtsinstituts „Ehe“ auseinander und kommen mit überzeugenden
Argumenten zu dem Ergebnis, dass Art. 6 Abs. 1 GG der Öffnung der Ehe für
gleichgeschlechtliche Paare durch einfaches Gesetz nicht entgegensteht, aus
heutiger Sicht also die in 2017 beschlossene Einführung der „Ehe für alle“
verfassungskonform ist. Demgegenüber ist allerdings Kritik an den Ausführungen
zur Vertragsfreiheit bei Art. 2 Abs. 1 GG zu üben: Angesichts der praktischen
Bedeutung der Vertragsfreiheit und der zahlreichen, mit ihr zusammenhängenden
grundrechtsdogmatischen Fragen erscheint die Abhandlung in nur zwei Randnummern
(35 und 63) als klar ausbaufähig, nicht zuletzt mit Blick auf die zahlreichen
mit der Problematik befassten monografischen Abhandlungen der letzten rund 60
Jahre. Hier hätte man sich als Leser – gerade von einem derart
meinungsfreudigen Werk wie dem „Dreier“
– mehr erwartet und erhofft, hätte eine ausführliche Befassung mit der Thematik
die rechtswissenschaftliche Diskussion doch sicherlich um eine interessante
Position bereichert.
Die Gliederung der Ausführungen zu den
staatsorganisatorischen Regelungen folgt ganz klassisch dem Aufbau der
entsprechenden Norm. Auch hier sind die inhaltliche Tiefe und die Ausführlichkeit
der Darstellungen besonders positiv hervorzugeben, wobei die gesetzten
Schwerpunkte von Artikel zu Artikel variieren. An einigen Stellen wird der
bereits ein Stück weit mit der Materie vertraute Leser allerdings die
Behandlung ausgewählter Problematiken vermissen: So wären beispielsweise im
Rahmen von Art. 21 GG – auch wenn das zweite NPD-Verbotsverfahren erst 2017 vor
dem BVerfG abgeschlossen wurde – weitergehende Ausführungen des Bearbeiters zu
den Erfolgsaussichten des Verfahrens wünschenswert gewesen, ebenso wie eine
Vertiefung der angedeuteten EMRK-rechtliche Einflüsse auf die deutschen
Regelungen zum Parteienverbot. Ähnliches gilt auch für die verfassungsrechtliche
Bewertung der Euro-Rettungspakete mit Blick auf die Bestimmung des Art. 38 GG,
der in den entsprechenden Verfassungsbeschwerden gegen die Rettungsmechanismen
immer wieder zum Tragen gekommen ist. Demgegenüber vermögen die Darstellungen
zu dem 2012 neu eingeführten verfassungsgerichtlichen Verfahren der
Nichtanerkennungsbeschwerde für Parteien gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG ebenso
zu überzeugen wie die Ausführungen zu den 2017 im Rahmen der Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs
vorgenommenen Grundgesetzänderungen, denen allerdings von den Bearbeitern ein
durchweg verheerendes Zeugnis ausgestellt wird.
Insgesamt vermag somit auch die neuste, 3. Auflage des
Kommentars wieder in vollem Maße zu überzeugen! Ohne sich durch die
verfassungsgerichtliche Rechtsprechung und die herrschende Meinung Scheuklappen
anlegen zu lassen, analysieren, bewerten und kritisieren die Bearbeiter offen
und schonungslos die verfassungsrechtlichen Problematiken und sind stets
bemüht, im Rahmen einer ergebnisoffenen Untersuchung zu dogmatisch
überzeugenden Positionen zu kommen. Diese liegen nicht selten auch mal fernab des
juristischen „Mainstreams“, sind aber in ihrer Herleitung immer gut
nachvollziehbar und wohlbegründet. Die Ausführungen überzeugen dabei besonders durch
ihre dogmatische Tiefe und die stringenten Argumentationen. Sie eröffnen dem
Benutzer des Kommentars bei zahlreichen Problemen neue, interessante
Blickwinkel und regen damit zugleich zum eigenständigen Weiterdenken an. Dabei
lässt es der Kommentar an zahlreichen Stellen ebenso nicht an offener und klar
artikulierter Kritik an der Politik mangeln, sondern legt den Finger in aller
Deutlichkeit in die Wunden der gesetzgeberischen Unzulänglichkeiten. Mit seiner
Meinungsfreude ist das Werk allerdings – dies muss an dieser Stelle zumindest
eingeräumt werden – nicht die erste Wahl für Studierende, die für eine Haus-
oder Themenarbeit in eine verfassungsrechtliche Problematik einsteigen wollen.
Hier wäre ein konservativeres Werk zu bevorzugen. Demgegenüber stellt der Dreier aber auch weiterhin die erste
Wahl für kritische Geister und Wissenschaftler dar, die die überkommenen
Ansichten der vorherrschenden Lehre einmal ganz ergebnisoffen hinterfragt
wissen wollen, und sollte daher in keiner wissenschaftlichen Abhandlung zu
verfassungsrechtlichen Fragestellungen fehlen. Aus eben diesem Grund gehört das
Werk auch in seiner neusten Auflage definitiv in jede juristische Universitätsbibliothek!
Darüber hinaus sollten aber auch die einzelnen staatsrechtlich ausgerichteten
Lehrstühle sowie entsprechende Kanzleien durchaus die Investition der
stattlichen Summe von 750 Euro in Betracht ziehen, um dieses vorzügliche Werk
in ihrer Handbibliothek stets greifbar zu haben. Die Investition lohnt sich
definitiv!